- Islamistische Rebellen sollen kurdische Produzenten in Syrien enteignet haben. Eine HuffPost-Recherche. “Operation Olive...
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Islamistische Rebellen sollen kurdische Produzenten in Syrien enteignet haben.
Eine HuffPost-Recherche.
“Operation Olivenzweig”: Es war ein befremdlich poetisch klingender Name, den die türkische Erdogan-Regierung für ihre Offensive im nordsyrischen Afrin im Januar vergangenen Jahres wählte.
Über den Einsatz erklärte der damalige türkische Premierminister Binali Yildirim, die türkische Armee wolle den Menschen in Afrin “Oliven” und den “Terroristen” “Zweige” bringen. Von einer “Befreiung” Afrins ist in türkischen Staatsmedien bis heute die Rede.
Kritiker dagegen nutzen das Wort “Angriffskrieg”, wenn sie über die “Operation Olivenzweig” sprechen. Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat unlängst bezweifelt, dass die Offensive gegen die Kurden mit dem Völkerrecht vereinbar war.
► Und immer deutlicher zeichnet sich ab, dass hinter dem Namen “Olivenzweig” wohl mehr steckt als die Romantisierung eines Kriegseinsatzes.
Übereinstimmenden Berichten zufolge hat die Türkei begonnen, die Olivenvorräte und -plantagen der Region zu plündern – und das Olivenöl aus Afrin auch in die EU zu exportieren.
Auch in Deutschland haben es wohl bereits Flaschen des gestohlenen Öls in die Regale verschiedener Läden geschafft. Ihr Verkauf finanziert einen höchst umstrittenen Kriegseinsatz.
Islamistengruppen profitieren
Zuerst wies die kurdische Nachrichtenagentur Firat im vergangenen Herbst auf die Plünderung hin.
Firat leakte ein Dokument, das ein Abkommen zwischen der von der Türkei initiierten lokalen Verwaltung in Afrin und Mitgliedern türkisch unterstützter Rebellengruppen der Freien Syrischen Armee (FSA) belegen soll.
Zu den Unterzeichnern zählt auch ein Vertreter der Terrormiliz Jabhat al-Sham, ehemals Al-Nusra, und Mitglieder der Islamistengruppe Ahrar al-Sham.
► In dem Schreiben hielten die Beteiligten den geplanten Verkauf von Oliven im Wert von rund 80 Millionen US-Dollar durch die Türkei fest.
Die FSA übergab die eingenommenen Plantagen und Produktionsstätten demnach gegen eine Zahlung von 22 Millionen US-Dollar der lokalen Verwaltung.
► Die Einnahmen sollten an das türkische Logistik- und Postunternehmen PTT und die Ziirat Bank fließen.
Der kurdischen Nachrichtenagentur zufolge sei die grundliegende Entscheidung zur Plünderung der Oliven bereits im September auf einem Treffen zwischen dem türkischen Geheimdienst MIT, dem Verantwortlichen des regionalen FSA-Hauptquartiers, Haitham al-Afisi, und einer Delegation der Rebellen getroffen worden.
Erdogans Offensive: Enteignet oder abgezockt
Das Abkommen geht zu Lasten der überwiegend kurdischen Olivenhändler, die ihren Lebensunterhalt bislang durch den Verkauf und Export ihrer Produkte bestritten hatten.
► Händler in Diensten der Türkei haben das Geschäft mit den Oliven allem Anschein nach fast vollständig an sich gerissen.
Omar Celeng, ein Ökonom aus Afrin, erklärte laut einem Bericht des Kurdischen Instituts in Paris im Januar, dass bewaffnete Gruppen 125 der 295 Pressen für das Öl in Beschlag genommen hätten. Diese seien an die Türkei verkauft worden.
► Laut HuffPost-Informationen wird das Endprodukt dann durch einen erst kürzlich eröffneten Übergang im Dorf Hamam in der türkischen Provinz Hatay über die Grenze in die Türkei gebracht, von wo aus das Exportgeschäft betrieben wird.
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Wohl nicht alle Betriebe wurden enteignet. Aber: Laut Quellen in Nordsyrien hält nun eine türkische Firma das exklusive Recht, das Öl aus Afrin zu exportieren.
Der frühere Chef der Landwirtschaftsbehörde der Provinz Afrin, Mustafa Souleyman, sagt: “Vor der Invasion wurde eine Flasche Öl der höchsten Qualität für 33.000 syrische Pfund (56 Euro) nach Europa verkauft.” Heute zahle die Türkei den verbleibenden kurdischen Produzenten nur noch 24 Euro.
Auch die spanische Zeitung “El Publico” berichtete zuletzt über die brisanten Geschäfte mit dem Öl aus Afrin.
Demnach werde das Olivenöl in Teilen in der Türkei als “türkisches Olivenöl” deklariert und dann in EU-Länder exportiert. Ein andalusischer Ölhändler berichtete der Zeitung, er habe kürzlich ungewöhnliche Angebote aus der Türkei erhalten: “Vor einigen Tagen hat uns eine Forma aus Adana namens Ozcelic Trading kontaktiert und uns Öl angeboten. Die Wahrheit ist: Das ist unüblich.”
► Der Experte hält es für möglich, dass bereits große Mengen des Afrin-Öls in dem EU-Land kursieren.
Audio-Datei sorgt für Wirbel
Ein Audiomitschnitt, der in den sozialen Medien kursiert, befeuert diesen Verdacht.
In diesem ist zu hören, wie ein mutmaßlicher Interessent aus Saudi-Arabien versucht, gestohlenes Öl aus Afrin zu erwerben, um es in die EU zu importieren.
► Der Verkäufer, der angibt, aus dem syrischen Homs zu stammen, antwortet ihm: “Wir versenden das Öl, deklariert als ’türkischer Herkunft’. Wir senden es, als sei es in der Türkei produziert worden.”
Die HuffPost hat Kontakt zu dem angeblichen saudischen Interessenten aufgenommen. Er, Ali Isso, ist eigentlich Jeside aus Afrin und lebt seit vier Jahren in Deutschland.
Er berichtet: “Ich habe die Telefonnummer angerufen, die auf einer Ölflasche der Firma Barakat a-Ghouta stand und vorgegeben, große Mengen des Öls aus Afrin kaufen zu wollen.”
Die klare Antwort des Verkäufers: “Ja das bieten wir an. (...) Wir können das Öl aus Syrien oder aus der Türkei verschiffen. Wir liefern es von wo Sie wollen.”
Isso sagt der HuffPost: “Schon, dass ein Geschäftsmann aus Homs Olivenöl aus Afrin verkauft, ist verdächtig. Dieses Öl wurde vor der Invasion nur von lokalen kurdischen Händlern verkauft.”
Auch in Deutschland taucht Öl auf
Auf diesem Weg könnte Öl, das offen mit dem Label “Made in Afrin” wirbt, auch nach Deutschland gelangt sein.
Zuletzt tauchten in den sozialen Medien Bilder auf, die belegen sollen, dass in der Bundesrepublik Vorräte des Raub-Öls in arabischen Supermärkten verkauft werden.
#turkey is selling the oil to #Europe which they stole from #Afrin.— Women Rise Up For Afrin (@riseupforafrin) 11. Februar 2019
Everybody is silent about that!! pic.twitter.com/k7pFN3Pl9s
Darunter ist auch der Supermarkt Al-Noor in Flensburg, behaupten Social-Media-Nutzer, die teilweise die Verkaufsregale fotografiert haben.
Eine Anfrage an die Ladenbetreiber blieb bislang unbeantwortet.
► Die HuffPost hat zudem den Betreiber eines Onlinehandels kontaktiert, der Afrin-Olivenöl in seinem Sortiment hat.
Er beteuert, er habe das Produkt nicht aus der Türkei erworben, sondern direkt aus Syrien. Das Foto einer Rechnung soll das untermauern.
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Tatsächlich ist auf dem Dokument der Name einer kurdischen Firma aus Afrin verzeichnet: Ismail Shekho.
Ein Kenner der Region mit langjährigen Verbindungen nach Afrin bestätigt der HuffPost: Dabei handelt es sich um eine legitime kurdische Firma aus der Provinz.
Allerdings hätten Beobachter schon seit längerem Zweifel, ob die Firma noch unabhängig agiere. Möglich sei auch, dass die Türkei das Unternehmen übernommen habe und nutze, um seinem Exportgeschäft den Anstrich von Legitimation zu verleihen.
Erdogan-Minister macht keinen Hehl aus Geschäften
Die türkische Regierung behauptet offiziell, die lokalen Händler in Afrin fair zu behandeln.
Eine Aussage des türkischen Landwirtschaftsminister Bekir Pakdemirli aus dem Herbst des vergangenen Jahres zieht diese Position allerdings in Zweifel.
► Pakdemirli erklärte damals wenig verblümt, die Türkei werde die Olivenbestände der Region konfiszieren, um zu verhindern, dass die kurdischen Milizen in Afrin aus ihrem Verkauf Gewinn schlagen könnten.
Zu dieser Strategie scheint auch der Vertrieb des Blutöls aus dem Norden Syriens nach Europa zu gehören.
(jg)
https://www.huffingtonpost.de/entry/blut-ol_de_5c628e7fe4b04a5c2b3100ae?ec_carp=3521936283504209848&fbclid=IwAR2IE7xyrYJV8yBo_MvSEuQb9op8OdK-jZ3_ziRQWgluMYtolCDikIMtPKo&ec_carp=3521936283504209848